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Der Faktor Wissen und Zeit – Künstliche Intelligenz für ein Naturprodukt

Ein Bericht über die Erfahrungen der Inhaberin eines Fleischereibetriebs mit eigener Schlachtung und Produktion

KI trifft jahrhundertealte Tradition

Die Landfleischerei ist ein klassischer Handwerksbetrieb mit eigener Schlachtung und Produktion. Mit 22 Mitarbeitenden ist die Fleischerei auf die Herstellung einer naturgereiften Mettwurst spezialisiert. „Dieser Reifeprozess, der ist relativ komplex – wie fast alle Reifeprozesse bei naturgereiften Lebensmitteln – den kann man eigentlich bisher kaum abbilden (…) das geht alles so ein bisschen nach Gefühl und Erfahrung“, berichtet die Inhaberin. Im Rahmen dieses Berichts wird sie Gela genannt, kurz für Geschäftsführerin einer Landfleischerei. Der Betrieb ist Teil eines geförderten KI-Projekts, bei dem der Reifeprozess der Wurst optimiert und standardisiert werden soll. Mithilfe von Sensoren, die sowohl in den Räumlichkeiten als auch im Produkt selbst installiert werden, werden Parameter wie Temperatur, Feuchtigkeit, pH-Wert und Helligkeit gemessen. Auch Faktoren wie Jahreszeit, Wetter und Außentemperatur fließen in die Bemessungen mit ein. Die KI-Implementierung wird vom Fachbereich Informatik einer Universität unterstützt; dieser führt die Datenerhebungen durch und beobachtet die Reifebedingungen. Die Fleischerei steht mit dem Projekt also nicht allein – Rückhalt und Hilfestellungen sind jederzeit gegeben. Ziel ist es, die jahrhundertealte Erfahrung der Fleischerei, die mittlerweile in der fünften Generation betrieben wird, zu erweitern, traditionelles Handwerk zu bewahren und durch die Standardisierung den Herausforderungen des Fachkräftemangels entgegenzuwirken. Idealerweise kann der Reifeprozess in Zukunft remote gesteuert werden, damit Mitarbeitende nicht mehrmals täglich die Bedingungen in der Reifekammer kontrollieren müssen.

Sich wieder anderen Aufgaben widmen

Das Pilotprojekt für KI im Fleischerei-Handwerk befindet sich noch in der Datenerhebungsphase. Im nächsten Schritt sollen Muster aus den Daten gelesen und mehr über den Reifeprozess gelernt werden, um diesen besser zu verstehen und ggf. zu optimieren. Die künftige Hoffnung sei es, die Erkenntnisse auch auf andere natürliche Reifeprozesse wie die von Käse oder Wein anzuwenden. In ihrer Belegschaft ist Gela auf Begeisterung für das Projekt gestoßen.

„Die finden das toll, wenn die eine Entlastung haben können, also wir sind ja immer am Limit und man sucht. Bei uns in der Branche ist es wirklich sehr eng mit Fachkräften und jemanden zu finden, und die freuen sich ja, wenn sie eine Arbeitserleichterung haben.“

Trotzdem betont sie, dass es wichtig war, den Mitarbeitenden die Vorteile und die Entlastung durch die KI zu erklären und ihnen zu zeigen, dass dies ein positiver Fortschritt ist. Als Betriebsführung stünde sie in der Verantwortung, die positiven Aspekte von KI, wie die Zeitersparnis und Arbeitserleichterung, aufzuzeigen und Ängste wahrzunehmen. Veränderungen seien immer mit Skepsis und Ängsten verbunden, diese Reaktion sei natürlich und urmenschlich.

„Meine Mitarbeiter sollen dadurch keinesfalls ersetzt werden, aber die können sich dann anderen Aufgaben widmen, wie zum Beispiel ein neues Rezept zu entwickeln oder so oder ganz andere Dinge, die auch nur ein Mensch kann.“

Gela findet es vor allem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung sinnvoll, wenn gewisse Routinearbeiten, „die auch sowieso keiner mehr machen möchte“, von einem Computer oder einer KI-Anwendung übernommen werden.

„Ich begreife das einfach viel mehr als Hilfsmittel“, betont sie, „es wird niemals sein, dass ein Computer zu 100 Prozent einen Menschen ersetzen kann, (…) also da glaube ich auf gar keinen Fall dran“.

Aufklärung gegen die Unwissenheit

Gela räumt ein, dass sie den Eindruck hat, dass die meisten Menschen das Konzept von KI nicht verstehen. Ihre Kundschaft äußerte zum Teil Befürchtungen, dass die klassische Qualität der Würste verloren ginge oder dass das Produkt künstlich oder industriell wird.

„Manche sind da auch ein bisschen kritisch, wenn man da jetzt irgendwie Maschinen mit einsetzt oder Digitales, weil sie dann irgendwie denken, der Zauber geht weg, das Handwerkliche.“

An dieser Stelle sei es immer wichtig, aufzuklären. Die Angst stamme aus der Unwissenheit und Ungewissheit über die Auswirkungen von KI. Gela erklärt, dass die Künstliche Intelligenz ein unglücklicher PR-Begriff sei, da künstlich eher negativ besetzt sei und Intelligenz suggerieren könnte, dass sie uns als denkenden Menschen ersetzen könnte. Es wäre schade, wenn durch diese Ängste viel Positives verhindert werden würde. Bedenken sollten ernst genommen und ein kontrollierender Rahmen geschaffen werden – dem Fortschritt sollte man aber zunächst einmal positiv gegenüberstehen. Einige Kunden der Landfleischerei sind neugierig und fragen, was mit den Würsten passiert, in denen Sensoren gesteckt haben. „Das ist halt zu Forschungszwecken, das fällt dann halt der Forschung zum Opfer, dieses arme Produkt, aber (…) wir versuchen es dann dennoch, nicht zu verschwenden“, erzählt Gela schmunzelnd. Die Mitarbeitenden der Fleischerei sowie die Informatikerinnen und Informatiker an der Uni freuten sich über den etwas zerlöcherten „Eigenbedarf“.

Ein Abwägen von Aufwand und Nutzen

Gela rät anderen Unternehmen, offen zu bleiben für neue und innovative Projekte, auch wenn sie Zeit und Arbeit erfordern. Es sei auch als kleiner Betrieb in einer Nische wichtig, am Puls der Zeit zu bleiben, „auch wenn es manchmal vielleicht nur mehr an der Seitenlinie ist.“

„Man muss irgendwie gefühlt immer mehr leisten in immer weniger Zeit und das ist alles sehr komplex und alles sehr herausfordernd. Und manchmal hat man dann wenig Zeit für solche Projekte, aber (…) es ist nicht verkehrt, mal in den sauren Apfel zu beißen und mal ein paar Wochen oder Monate noch mehr Arbeit zu haben und dann aber danach wirklich eine dauerhafte Entlastung zu haben.“

Nichtsdestotrotz rät Gela dazu, den Aufwand eines Projekts mit dessen Nutzen sorgfältig abzuwägen und zu prüfen, an welchen Stellen eine Neuerung oder Digitalisierung wirklich notwendig ist. Teilweise würde Digitalisierung nur um der Digitalisierung willen betrieben und damit Prozesse unverhältnismäßig komplex statt erleichtert werden. Digitalisierung sollte an den Stellen eingeführt werden, an denen sich der Aufwand lohnt. Gela ist gespannt, zu welchen Erkenntnissen die Messungen führen werden. Wenn Fehler im Reifeprozess entdeckt würden, wäre diese Erkenntnis für sie genauso wertvoll, wie das Ergebnis, dass bereits jetzt schon alles richtig gemacht wird.

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