Die Notwendigkeit einer Strategie - Der Anwendungs-Fundus
KI in der IT- und Prozessdienstleistung - Ein Bericht über die Erfahrungen des Geschäftsführers eines IT- und Prozessdienstleisters
Fest verankert im täglichen Tun
Der IT- und Prozessdienstleister für Energie- und Stadtwirtschaft bietet Full-Service IT an, dabei gehört auch Datenmanagement und -entwicklung zum Tagesgeschäft. Das Unternehmen betreut unter anderem fast zwei Millionen Zählpunkte. Massenprozesse wie diese bedeuten eine regelrechte Notwendigkeit einer Automatisierung. Mithilfe von maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz werden bereits heute mehrere Arbeitsabläufe im Unternehmen automatisiert und auf Basis von Daten Entlastungen geschaffen sowie Entscheidungen getroffen. Für den Geschäftsführer war das Nutzen von KI-Technologien die logische Weiterentwicklung und Konsequenz aus dem bisherigen Arbeiten mit maschinellem Lernen. Im Rahmen dieses Berichts wird er Herr Martinez genannt. Je nach Anwendungsfall setzt das Unternehmen verschiedenste Methoden, Tools und Systeme ein. Es gibt nicht die eine KI-Lösung: „Wir haben wirklich einen großen Fundus“, berichtet Martinez grinsend. Neben Chatbots im Kundenservice, die KI enthalten, und einem Dokumentenmanagement-System sind auch KI-Modelle für die Analyse von Zahlungsausfällen bei Gewerbekunden im Einsatz. Auf das KI-Modell, das den geeigneten Zeitpunkt für das Heizen der Rotorblätter von Windrädern aus Energieeffizienzaspekten errechnet, ist Martinez besonders stolz. So konnten in der Winterperiode pro Windkraftanalage Heizkosten im sechsstelligen Bereich eingespart werden.
Strategie über Garagen-Mentalität
Dennoch gibt es Bereiche im Unternehmen, in denen KI nicht eingesetzt wird. Dazu gehören Entscheidungsprozesse, bei denen Menschen beteiligt sind sowie Interaktionen zwischen Menschen. Als Leitgerüst für die Implementierung dient eine ausgefeilte KI-Strategie, in die ein Ethik-Gremium fest verankert ist. Dieses Leitgerüst besteht aus einem Stage-Gate-Prozess, beginnend mit der Ideengenerierung und -Priorisierung bis hin zur endgültigen produktiven Implementierung. Das Stage-Gate-Modell ist ein von Robert G. Cooper entwickeltes Modell, um Innovations- und Entwicklungsprozesse zu optimieren. Dabei wird eine Reihe von festgelegten Zielsetzungen bzw. Gates verfolgt. Bei dem IT- und Prozessdienstleister gehört dazu unter anderem eine Potenzialanalyse sowie das Durchlaufen verschiedener Gremien wie dem Ethik-Gremium oder dem KI-Board, die den jeweiligen Use Case auf ethische, technische und architektonische Belange hin überprüft. Darüber hinaus gibt es auch definierte Rollen wie den KI-Champion, der bereits KI-Implementierungen von Anfang bis Ende begleitet hat und für zukünftige Prozesse als Experte mitarbeitet oder hinzugezogen werden kann. Das Ziel solcher KI Use Cases sind in der Regel entweder Kostensenkungen oder Ertragssteigerungen in der Energie- oder Stadtwirtschaft.
„Das Thema ist weit weg mittlerweile von Garagen-Mentalität und ‘ich baue da mal was‘. Das hat schon einen erheblichen Einfluss auf ein Unternehmen. Und wenn man wirklich die Potenziale heben möchte, muss man es strategisch angehen.“
Von über 50 Use Cases, die zu Beginn gesammelt wurden, können nicht alle ohne weiteres umgesetzt werden. Um zusätzliches Know-how sowohl im Bereich KI-Technologie als auch auf Anwenderseite zu sammeln, werden andere Unternehmen eingeladen, um von ihren Best Practices zu berichten. Martinez hält jedoch fest, dass Expertise oft im Ausland sitzt und spezifische Bereiche, wie die Überwachung von Hochspannungsleitungen, leider nicht immer auf unsere geografische Lage übertragen werden können.
Aktiv Transparenz schaffen
Innerhalb des Unternehmens ist laut Martinez unbedingt eine Zusammenarbeit zwischen dem Dienstleister, den Fachbereichen im Unternehmen, den Data Scientists und der gesamten Betriebsmannschaft nötig. Auch betriebsinterne Gremien wie Betriebsräte und Datenschutz sollten bei der KI-Implementierung miteingebunden werden. Durch ethische Spielregeln und Leitlinien, Information, Transparenz und Einbindung kann Ängsten von Mitarbeitenden entgegengewirkt und ihre Akzeptanz gesteigert werden.
„Sie müssen aktiv Transparenz schaffen und Sie müssen aktiv auch die Bedenken ernst nehmen, ansonsten holt Sie das ein. (…) Sie brauchen das Know-how der Leute und Sie brauchen auch die Unterstützung der Leute. Also aus meiner Sicht spielt das eine sehr große Rolle, teilweise mehr als die reinen technischen Fragen.“
Kommunikation und Mitarbeiterführung seien zentrale Aufgaben bei der Einführung von KI und Top-Down-Implementierung würden oft scheitern. Trotz vieler – teilweise auch berechtigter – Ängste, glaubt Martinez „enorm an die Möglichkeit, durch KI zu entlasten“. Vor allem repetitive Tätigkeiten und Massenprozesse können automatisiert sowie Entscheidungsprozesse vereinfacht werden. Dabei betont er:
„Also nicht entlassen, das glaube ich nicht. Dazu haben wir viel zu viel zu tun.“
Zusätzlich können KI-gestützte Prognosemodelle das Geschäft besser einschätzen und für die Zukunft planen.
Externe Faktoren im Blick halten
Martinez bezeichnet den Mangel an Fachwissen und die begrenzten Ressourcen durch den Fachkräftemangel als das größte Hindernis für eine erfolgreiche Implementierung und Arbeit mit KI. Die frühzeitige Suche nach Fachkräften sowie die Definition einer KI-Strategie sind für ihn von grundlegender Bedeutung. Auch Regulierungen wie das bevorstehende EU KI-Gesetz sollten in keinem Fall unterschätzt werden. Neben Transparenzpflichten gegenüber Endverbrauchern werden darin auch Offenlegungspflichten für Aufsichtsbehörden festgelegt, die die Arbeit mit KI nachhaltig verändern werden.
„Ich würde dieses Thema nicht unterschätzen. Also aus meiner Sicht kann dieses EU KI-Gesetz Dimensionen wahrnehmen oder darstellen wie die DSGVO.“
Dass das Gesetz die Innovationskraft in Europa kaputt machen würde, kann er jedoch nicht unterstreichen. Vielmehr ist er davon überzeugt, dass andere Länder dem KI-Gesetz und den Diskussionen, die hier geführt werden, folgen werden. Es deute sich jetzt schon an, dass selbst Chatbots als Hochrisiko-KI eingeschätzt werden.
„Ob man das jetzt gut oder schlecht findet, sei jedem dahingestellt.“